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Das geheimnisvolle Leben des ältesten Hais der Welt

Um den Grönlandhai ranken sich viele Geheimnisse. Besonders die Frage nach seinem hohen Alter wirft den Forschern Fragen auf.

Grönlandhai in tiefschwarzem Wasser
Grönlandhai © dottedyeti via Adobe Stock

Der Grönlandhai (Somniosus microcephalus), auch Eishai genannt, gilt als ältester Hai der Welt. Mit seinen bis zu 512 Jahren überragt er nicht nur das Alter sämtlicher Haie, sondern auch das aller anderen Wirbeltiere. Bei diesen Zahlen handelt es sich allerdings um Schätzungen. Die aktuell vorhandenen Daten und Messmethoden sind nicht ausreichend, um das Höchstalter zuverlässig zu bestimmen.

Methode zur Bestimmung des Alters

Da es sich bei Grönlandhaien um Knorpelfische handelt, besitzen sie kein verknöchertes Skelett, anhand dessen ihr Alter gemessen werden könnte. Stattdessen nutzen Wissenschaftler die Radiokarbonmethode zur Altersbestimmung. Ein Verfahren, bei dem der Gehalt an Kohlenstoffisotopen innerhalb des Augenlinsenkerns gemessen wird und Aufschluss über das Alter der Haie gibt. Die Augenlinsen entstehen im Embryonalstadium und wachsen anschließend während der gesamten Lebenszeit weiter.

In einer 2016 durchgeführten Studie untersuchten Forscher mithilfe der radioaktiven Isotopen-Untersuchung 28 Grönlandhaie auf ihr Alter (Nielsen et al., 2016). Der älteste Hai war ein Weibchen mit einer Körperlänge von 5,02 Metern. Die Wissenschaftler errechneten ein Alter zwischen 272 und 512 Jahren – bahnbrechende Daten, die seitdem als Grundlage für das Lebensalter der Grönlandhaie dienen.

Es wird darauf hingewiesen, dass diese Abschätzungen noch durch ein zweites Bestimmungsverfahren bestätigt werden sollten. Die bisherigen Daten sind also eher ein Anhaltspunkt für das Alter. Doch eines steht fest: Grönlandhaie erreichen ein immens hohes Alter. Wie schaffen sie das?

Keine Eile geboten

Für ein langes Leben hat der Grönlandhai ein Ass im Ärmel: Trägheit. Aus gutem Grund, denn in Temperaturen bis unter 5 °C setzt er auf den Energiesparmodus zur Selbsterhaltung. Mit den langsamsten Schwanzschlägen innerhalb seiner Gewichtsklasse bewegt er sich beinahe in Zeitlupe durch die eisigen Gewässer, die er sein Zuhause nennt. Sein durchschnittliches Schwimmtempo beträgt nur etwa 30 Zentimeter pro Sekunde, das sind gerade einmal 1,08 Kilometer pro Stunde. Das Schwimmverhalten auf der Jagd konnte leider noch nicht beobachtet oder gemessen werden.

Seine Trägheit spiegelt sich auch in seinem Gattungsnamen Somniosus wider, der lose übersetzt „der Schlafende“ oder „der Verträumte“ bedeutet.

Die, aufgrund der eisigen Temperaturen, lange als unwirtlich abgestempelte Polargegend hat für den Grönlandhai gewisse Vorzüge: Die Kälte sorgt für eine niedrige Körpertemperatur und dadurch für einen langsameren Stoffwechsel. Ein großes Plus für eine hohe Lebenserwartung. Niedrige Stoffwechselraten zeichnen sich unter anderem durch ein langsames Wachstum aus – beim Grönlandhai ist es weniger als ein Zentimeter pro Jahr. Außerdem wird das Gewebe der Tiere weniger belastet, wodurch ihre Funktion länger gewährleistet wird.

Darüber hinaus besitzt der Grönlandhai einen niedrigen Blutdruck und eine niedrige Herzfrequenz, die bei etwa 12 bis 20 Schlägen pro Minute liegt. Damit liegt er weit unter den Werten anderer langsam schwimmender Haiarten. Das schont sein Herz-Kreislauf-System und trägt ebenfalls zu seiner hohen Lebenserwartung bei.

Geheimnisse in den kalten Tiefen

Die Arktis rückt in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Wissenschaft. Exkursionen liefern uns einen wichtigen Einblick in das Leben heimischer Organismen und deren Zusammenhänge zum Ökosystem Polarmeer. Dennoch gibt es noch viele Geheimnisse, die enträtselt werden müssen.

Neben Flachwassergebieten bewohnt der Grönlandhai weite Tiefen in bis zu 2.600 Metern Tiefe. Am häufigsten lässt er sich in den Wassertiefen zwischen 300 und 500 Metern antreffen, wobei die größten Haie scheinbar tiefere Gebiete bevorzugen. Studien mit getaggten Haien offenbarten, dass sie großflächige, wenn auch sehr langsame Wanderungen unternehmen und gelegentlich rapide in tiefe Regionen abtauchen. Ob dies mit dem Jagdverhalten zusammenhängt oder andere Gründe hat, ist noch unklar.

Über das Paarungs- und Brutverhalten herrscht ebenfalls noch Unklarheit. Inzwischen weiß man jedoch, dass weibliche Grönlandhaie mit einem Alter von etwa 150 Jahren und einer Länge von etwa 400 Zentimetern geschlechtsreif werden. Bei Männchen liegt die Geschlechtsreife bei einer Länge von etwa 260 Zentimetern. Aufgrund des hohen Alters und der späten Geschlechtsreife wird eine geringe Fortpflanzung vermutet.

Die Weibchen sind ovovivipar (auch lecithotroph vivipar genannt), das bedeutet, sie produzieren Eier, die noch im Mutterleib ausgebrütet oder angebrütet werden. Jungtiere schlüpfen anschließend noch im Uterus oder kurz nach der Eiablage aus ihren Eiern. Vermutet werden mindestens zwei und bis zu zehn Nachkommen pro Wurf.

Großer Hai = großer Hunger

Ganz gleich, was für ein gemütlicher Geselle der Grönlandhai auch sein mag, er ist und bleibt ein Raubtier und ein riesiges noch dazu. Lange Zeit galt er ausschließlich als Aasfresser, aber Futteranalysen (Untersuchungen frisch verdauter Beute) zeigen, dass er auch ein aktiver Räuber ist.

Durch seine großflächigen Wanderungen ergeben sich geografische Unterschiede im Fressverhalten. Zur Beutejagd durchstreift er neben dem offenen Meer auch seichte Küstengewässer und bedient sich dort an der heimischen Fauna.

In Küstennähe erbeutet er Robben, die mit ihrem hohen Fettgehalt eine energiereiche und damit wichtige Nahrungsquelle darstellen. 2013 wurden in einer Studie zum Fressverhalten der Grönlandhaie in etwa 50 % der untersuchten Mägen Überreste diverser Robben gefunden (Nielsen et al., 2013). Bei den Überresten handelte es sich um Hautstücke, Speck, Muskelgewebe, Knochen, Flossen, Klauen und sogenanntes Lanugohaar, bei dem es sich um das Flaumhaar junger Robben handelt. Grönlandhaie stehen außerdem im Verdacht, die Seehundpopulation in Sable Island, Kanada zu regulieren.

Ihr aktives Jagdverhalten konnte allerdings noch nicht beobachtet werden. Bisherige Kenntnisse über ihr Fressverhalten stammen von Analysen des Mageninhalts und Bewegungsaufzeichnungen.

Neben Meeressäugern, Kopffüßern und Aas ist Fisch mit großem Vorsprung ihre beliebteste Beute. Zu den wichtigsten Beutefischen zählt der Kabeljau, der sechsmal häufiger als alle anderen Beutetiere gefressen wird, der Seewolf und die Echten Rochen (Rajidae). Rotbarsch, Seehasen und der Schwarze Heilbutt stehen ebenfalls auf ihrem Speiseplan, scheinen aber weitaus weniger beliebt zu sein.

Blind auf Kurs

Gefangene Beutefische sind im Durchschnitt größer als 25 Zentimeter, was bedeuten könnte, dass Grönlandhaie größere Fischarten bevorzugen, die sie leichter erkennen und fangen können.

Die meisten Grönlandhaie in der Arktis und den Gewässern Grönlands besitzen ein eingeschränktes Sehvermögen. Ganze 90 % der untersuchten Haie in arktischen und grönländischen Gewässern weisen parasitären Befall der Augen auf. Verursacht wird dieser Befall durch kleine Ruderfußkrebse (Ommatokoita elongata), die in die Mitte der Augenlinse eindringen und sich an der Hornhaut festsetzen. Die Parasiten erschweren den Haien nicht nur die Sicht, sie erzeugen auch ein schwaches, grünes Licht. Ein Phänomen, das Biolumineszenz genannt wird. Ob dieser Effekt den Haien dient und gegebenenfalls sogar Beutetiere anlockt, ist noch nicht bekannt.

Dass Grönlandhaie trotz erschwerter Sicht effiziente Jäger sind, liegt vermutlich an einem gut entwickelten Netzwerk von Elektrorezeptoren. Diese elektrischen Sinnesorgane unter der Haut ermöglichen es Ihnen, bioelektrische Impulse anderer Organismen wahrzunehmen und diese zu orten.

Die Geschichte war nicht gut zum Grönlandhai

Zurückgezogenheit bedeutet nicht gleich Sicherheit. In der Vergangenheit wurden Grönlandhaie vermehrt für die Lebertran-Industrie gefangen, um hochwertiges Öl für Lampen und Maschinen herzustellen. Seit Beginn der gezielten Fischerei im 13. Jahrhundert wurden jährlich bis zu 32.000 Haie gefangen. Schätzungen gehen sogar noch höher und setzen die Fangraten in den Höchstzeiten der Fischerei auf bis zu 58.000 Haie pro Jahr.

Genaue Fangzahlen und die Auswirkungen auf bestehende Populationen sind nicht bekannt. Allerdings sind Grönlandhaie heute in Gebieten, in denen in der Vergangenheit kommerzielle Fischerei betrieben wurde, in geringeren Zahlen vorhanden und scheinen sich aufgrund des hohen Alters und später Geschlechtsreife nur sehr langsam zu erholen.

Die hohe Nachfrage nach Haifischöl ging Ende der 1940er-Jahre durch die Erfindung von synthetischem Öl zurück. Seitdem haben sich vorrangig kleine Fischereien auf den Fang von Grönlandhaien spezialisiert und die Anzahl großer, kommerzieller Fischereien hat abgenommen. Im Nordwesten Grönlands wird der Grönlandhai heute in geringer Zahl gefangen, um daraus Futter für Schlittenhunde herzustellen.

Lokale Leckereien

Auf Island gibt es eine einzigartige und teure Delikatesse: Hákarl. Übersetzt bedeutet das isländische Wort schlicht „Hai“. Im Deutschen ist es auch als Eishaischinken bekannt.

Bei dem Gericht handelt es sich um fermentiertes Haifleisch, das in einem langen Herstellungsprozess gereift wird. Ein Prozess, der bis zu sechs Monate andauern kann und einen so penetranten Geruch verursacht, dass die Reifegestelle weitab von Behausungen aufgestellt werden. Der im Fleisch vorkommende Harnstoff sorgt für die lange Haltbarkeit, aber leider nicht für einen angenehmen Duft.

Früher wurden die Grönlandhaie für den Reifeprozess in der Erde vergraben. Mittlerweile hat sich der Prozess ein wenig gewandelt und die Haie werden zerkleinert in durchlöcherten Holzkisten gelagert. Anschließend werden sie im halb verfaulten Zustand zur weiteren Reifung und Trocknung für einige Monate an offene Holzgestelle gehängt.

Diverses Haifleisch auf einem Steinteller mit Wodka an der Seite
Haifleisch in Kombination mit starkem Alkohol © Uliana via AdobeStock

Zum Verzehr wird der Eishaischinken anschließend in kleine Würfel oder Scheiben geschnitten und mit starkem Alkohol heruntergespült. Der Geschmack wird (ebenso wie der Geruch) als intensiv beschrieben und ist nichts für schwache Mägen.

Wichtiger Teil des Ökosystems

Aufgrund der eisigen Temperaturen galten die Polarmeere lange Zeit als unbewohnt und nicht lebensfähig. Inzwischen wissen wir, dass dort ein komplexes Ökosystem mit vielzähligen Organismen lebt und gedeiht.

Dank zunehmender Forschungen rückt die Rolle des Grönlandhais innerhalb dieses Lebensraumes immer mehr in den Fokus. Als Spitzenräuber ist er ein essenzieller Bestandteil, der zum Gleichgewicht des gesamten Ökosystems beiträgt und dringenden Schutz benötigt.

Die IUCN (International Union for Conservation of Nature) stuft den Grönlandhai seit 2019 als „verwundbar“ ein. Wissenschaftler plädieren daher für die Einrichtung von Schutzgebieten zur Arterhaltung. Der Fokus soll künftig auf der Erforschung potenzieller Paarungsgebiete, Brutplätze und Aufzuchtgebiete liegen. Außerdem soll die Populationsgröße und deren Verteilung näher beobachtet, die genauen Zusammenhänge zum Ökosystem stärker erforscht und weitere Methoden zur Überprüfung des Alters gefunden werden. Eine spannende Zeit, die uns noch viel über den Grönlandhai und sein geheimes Leben offenbaren wird.

Weiterführende Literatur

  • Die Flora und Fauna der Polarregionen: Der Methusalem des Nordatlantiks. (2019). World Ocean Review 6: Arktis und Antarktis – extrem, klimarelevant, gefährdet, 6, 208.
  • Edwards, J. E., Hiltz, E., Broell, F., Bushnell, P. G., Campana, S. E., Christiansen, J. S., Devine, B. M., Gallant, J. J., Hedges, K. J., MacNeil, M. A., McMeans, B. C., Nielsen, J., Præbel, K., Skomal, G. B., Steffensen, J. F., Walter, R. P., Watanabe, Y. Y., VanderZwaag, D. L. & Hussey, N. E. (2019). Advancing Research for the Management of Long-Lived Species: A Case Study on the Greenland Shark. Frontiers in Marine Science, 6. https://doi.org/10.3389/fmars.2019.00087
  • Hird, T. (2018). Eismeere: Grünäugiges Monster: der Grönlandhai. In Ozeanopädie: 291 unglaubliche Geschichten vom Meer (2. Aufl., S. 285–286). Terra Mater Books.
  • Hofrichter, R. (2019). Mönchsrobbe, Napfschnecke oder Delfin gefällig?: Hákarl, das allerschlechteste, ekligste und schrecklich schmeckendste Gericht. In Die geheimnisvolle Welt der Meere: Eine Reise ins Reich der Tiefe (2. Auflage, S. 224–225). Penguin Verlag.
  • Nielsen, J., Hedeholm, R. B., Simon, M. & Steffensen, J. F. (2013). Distribution and feeding ecology of the Greenland shark (Somniosus microcephalus) in Greenland waters. Polar Biology, 37(1), 37–46. https://doi.org/10.1007/s00300-013-1408-3
  • Vilcinskas, A. (2011). Haie: Eishai, Grönlandhai. In Haie & Rochen (S. 178–179). Komet Verlag.

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