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Der kleinste Wal der Welt, den niemand kennt

Vaquitas sind nicht nur die kleinsten, sondern auch die seltensten Wale der Welt und dennoch kaum bekannt oder erforscht. Dabei sind sie mit weniger als 15 verbleibenden Exemplaren bereits vom Aussterben bedroht.

Vaquita im Golf von Kalifornien schwimmt an der Wasseroberfläche
Vaquita an der Wasseroberfläche im Golf von Kalifornien © Camino Filmverleih aus Sea of Shadows

Vaquitas (Phocoena sinus), auch Kalifornische Schweinswale oder Golftümmler genannt, erinnern durch ihre geringe Größe und schlankem Aussehen eher an Delfine als an Wale. Dabei gehören die kleinen Meeressäuger zur Familie der Schweinswale (Phocoenidae) und unterscheiden sich von Delfinen vor allem äußerlich durch ihre verkürzte Schnauze, dem sogenannten Rostrum, und ihrem rundlichen Schädel. Besonders auffällig ist ihre dunkle Färbung um die Augen, an der sie leicht zu erkennen sind.

Scheue Schweinswale

Schweinswale bevorzugen seichte, nahrungsreiche Küstengewässer und lassen sich ausschließlich in den Meeren der nördlichen Hemisphäre finden. Die meisten Arten meiden tiefere Gebiete und das offene Meer. In den letzten Jahren wurden sie zudem vermehrt beim Einwandern in Flussmündungen und Buchten gesichtet. Sogar in unseren heimischen Gewässern der Nord- und Ostsee lässt sich ein Vertreter der Schweinswale antreffen: der Gewöhnliche Schweinswal (Phocoena phocoena) und ist damit die am häufigsten vorkommende Walart in deutschen Küstengewässern.

Obwohl sich das Verbreitungsgebiet der Schweinswale auf Küsten und damit auf die Nähe von Menschen bezieht, bleiben sie auch heutzutage überwiegend unbemerkt.

Die von Natur aus scheuen Tiere kommen nur zum Luftholen für einige Sekunden an die Wasseroberfläche und verschwinden so schnell wieder, wie sie aufgetaucht sind. Sogar ihre Fontäne, der sogenannte Blas, ist beim Ausatmen eher zurückhaltend und nicht annähernd so imposant, wie man es von großen Walen kennt. Das ebenfalls von anderen Meeressäugern bekannte verspielte Springen an der Wasseroberfläche wurde bisher nur bei wenigen Jungtieren beobachtet und scheint bei erwachsenen Schweinswalen in Gänze zu fehlen.

Unbekannte kleine Kühe

Durch ihr scheues und möglich unauffälliges Verhalten ist es nicht verwunderlich, dass die Vaquitas lange Zeit unentdeckt blieben und erst 1958 auf den Schirm der Wissenschaftler traten. Das erste Foto eines lebenden Vaquitas sollte noch weitere 30 Jahre auf sich warten lassen und entstand erst in den 1980er Jahren.

Der spanische Name Vaquita bedeutet übersetzt „kleine Kuh“ und wurde im Laufe der Jahre vor allem durch mexikanische Fischer geprägt. Bei uns sind die Meeressäuger aufgrund ihrer Herkunft im Golf von Kalifornien vor allem als Kalifornische Schweinswale bekannt.

Durch ihre zurückgezogene Lebensweise und sinkenden Populationszahlen ist über ihr Verhalten bis heute wenig bekannt. Im Gegensatz zu Delfinen, die überwiegend in großen Schulen (so nennen sich die sozialen Gefüge der Delfine) wandern, sind Vaquitas nur in sehr kleinen Gruppen mit wenigen Individuen oder gar als Einzeltiere unterwegs. Die kleinen Golftümmler schließen sich gelegentlich zu lockeren Gruppen zusammen, um für kurze Zeit gemeinsam umherzuschwimmen und lösen sich anschließend wieder auf. Welchen Zweck dieses Verhalten hat, ist noch unklar. Mögliche Gründe könnten der soziale Austausch untereinander oder die gemeinsame Jagd nach Beutetieren sein.

Spärlicher Nachwuchs

Biologen vermuten, dass die Männchen bereits mit zwei bis drei Jahren und die Weibchen mit etwa vier bis sechs Jahren geschlechtsreif werden und sich fortan einmal jährlich fortpflanzen können. Untersuchungen der Eierstöcke geschlechtsreifer Weibchen zeigen jedoch, dass die meisten sich nur alle zwei Jahre fortpflanzen und nicht, wie bei anderen Schweinswalen üblich, jedes Jahr gebären.

Nach einer Tragzeit von etwa zehn bis elf Monaten bringen sie ein einziges Jungtier zur Welt. Zwillingsgeburten treten unter Walen nur selten auf. Zusammen mit ihrem verzögerten Paarungsintervall sorgt dies für eine äußerst geringe Fortpflanzungsrate der Vaquitas.

Die Jungtiere verbleiben im Laufe ihres ersten Lebensjahres bei ihrer Mutter und werden etwa sechs bis acht Monate lang gesäugt. In dieser Zeit entwickelt sich ihr Gebiss ausreichend, um selbstständig jagen zu können. Währenddessen weichen sie ihrer Mutter nicht von der Seite.

Bei der Nahrungssuche zeigen sich Vaquitas wenig anspruchsvoll. Zu ihren bevorzugten Beutetieren gehören allerhand kleine, bodenlebende Fische und Tintenfische, die sie mit ihrem Echolot ausfindig machen können. Auch Garnelen, Krabben und Hummer gehören gelegentlich zu den Snacks ihrer Wahl. Da sie ihre Nahrung nicht zerkauen, sondern im Ganzen verschlucken, sind ihre Beutetiere meist nicht größer als 30 Zentimeter.

Rekordhalter der Meereswelt

Mit einer Gesamtlänge von gerade einmal 1,50 Metern sind Vaquitas nicht nur die kleinsten Vertreter der Schweinswale, sondern auch die kleinsten Wale der Welt. Ein Maximalgewicht von nur 55 Kilogramm macht sie außerdem zu echten Leichtgewichten. Die Männchen erreichen nicht einmal diese Ausmaße und sind den Weibchen im Hinblick auf Größe und Gewicht unterlegen.

Verbreitungsgebiet der Vaquitas im Golf von Kalifornien an der Küste Mexikos
Verbreitungsgebiet der Vaquitas im Golf von Kalifornien © Meeresblog

Neben ihrer geringen Größe und Gewicht halten Vaquitas auch den Rekord für das kleinste Verbreitungsgebiet aller Wale. Sie sind weltweit nur an einem einzigen Ort zu finden: im nördlichen Golf von Kalifornien vor der Küste Mexikos.

Illegale Jagd auf den Totoaba

Im Golf von Kalifornien, der auch als Sea of Cortez bekannt ist, lebt es sich allerdings nicht ohne Gefahren. Während Schweinswale in unseren heimischen Gewässern vor allem Umweltgiften, zunehmendem Schiffsverkehr und tiefen Bohrungen am Meeresgrund ausgesetzt sind, gibt es im Golf von Kalifornien eine noch größere Bedrohung: Wilderer. Dabei haben es die illegalen Fischer gar nicht auf die kleinen Vaquitas abgesehen. 

Ihr eigentliches Ziel sind die Totoaba-Fische (Totoaba macdonaldi), deren Schwimmblasen auf dem chinesischen Schwarzmarkt Rekordsummen erzielen. Diese bis zu zwei Meter langen Fische sind inzwischen ebenso vom Aussterben bedroht, wie die Vaquitas und stehen in Mexiko seit vielen Jahren unter strengem Artenschutz. 

Leider ist die Nachfrage nach Totoaba-Schwimmblasen in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund ihrer vermeintlichen Heilwirkung enorm gestiegen und damit auch der Preis, den die Fischer für ihren illegalen Fang erzielen. Bis zu 4.000 US-Dollar erhalten sie pro getrockneter Schwimmblase, die anschließend für zehntausende Dollar auf dem chinesischen Schwarzmarkt weiterverkauft wird. Das verschaffte ihnen den Beinamen „Kokain des Meeres“.

Nachdem Naturschutzorganisationen und Wissenschaftler viele Jahre eindringlich auf die Problematik um das Aussterben des Vaquita durch Kiemennetze aufmerksam gemacht hatten, reagierte die mexikanische Regierung zunächst mit einer temporären Schutzzone für die Wale, die im Jahr 2017 zu einem dauerhaften Schutzgebiet ausgesprochen wurde.

Zur Bekämpfung der illegalen Fischerei sprach die mexikanische Regierung außerdem ein Verbot für Nachtfischerei aus und gab Beschränkungen für große Fischerboote und bestimmte Netzarten heraus.

Gefahr durch Kiemennetze

Bedauerlicherweise halten weder Schutzzonen noch Verbote und mögliche Strafen die illegalen Fischer davon ab, weiter nach dem lukrativen Totoaba zu jagen. Dafür nutzen sie vorrangig Kiemennetze, die als freischwimmende Stellnetze oder Grundstellnetze ins Meer geworfen werden.

Besonders die Grundstellnetze werden den Vaquitas zum Verhängnis. Sie haben Probleme, die aus Nylon gefertigten Netze zu orten und verfangen sich bei der Nahrungssuche darin. Da sie sich meist nicht mehr befreien und zum Luftholen an die Oberfläche kehren können, ersticken sie qualvoll und verenden in hoher Zahl als unerwünschter Beifang.

Achtlos weggeworfene oder im Meer vergessene Geisternetze bieten eine zusätzliche Bedrohung für die kleinen Meeressäuger und andere im Golf von Kalifornien lebende Arten.

Der Kampf um die letzten Vaquitas

Um die letzten verbleibenden Vaquitas zu retten und die Art vor dem Aussterben zu bewahren, wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Schutzmaßnahmen implementiert und Rettungsaktionen gestartet.

Neben einer im Jahr 2020 eingerichteten Schutzzone (einer sogenannten Zero Tolerance Area, in der die Fischerei vollends untersagt ist), wurde der Versuch unternommen, alternative Fischereimethoden zu implementieren, um auch die Nutzung legaler Kiemennetze drastisch zu reduzieren.

Um beispielsweise Fischernetze für Vaquitas „sichtbar“ zu machen, können sogenannte Pinger an ihnen befestigt werden, die ein akustisches Signal von sich geben und die Schweinswale damit auf die Netze aufmerksam machen sollen. Wie erfolgreich diese Methode ist, oder ob sie durch zusätzliche Lärmverschmutzung mehr Schaden anrichten, als zu helfen, ist noch unklar.

Sea Shepherd Schiff "Sharpie" mit mehreren Vaquitas im Küstengewässer
Sea Shepherd Schiff „Sharpie“ mit mehreren Vaquitas im Golf von Kalifornien © Camino Filmverleih aus Sea of Shadows

Die bisher größten Erfolge im Kampf gegen die illegale Fischerei konnte das Team von Sea Shepherd mit ihrer Operation Milagro erzielen. Die Crew engagiert sich seit 2015 im Golf von Kalifornien, sammelt illegale Netze und Geisternetze aus dem Wasser und rettet die darin gefangenen Tiere vor ihrem Untergang. Bei der jährlich stattfindenden Operation konnten bereits über 1.000 Netze geborgen und um die 4.000 Meerestiere gerettet werden. Ein großer Erfolg für den Schutz der Vaquitas, Totoabas und anderer beheimateter Meeresbewohner.

Geringe Chance auf Überleben

Vaquitas werden von der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature) unter den 100 meist bedrohten Arten der Welt geführt. Mit weniger als 15 verbleibenden Exemplaren sind sie die seltensten Meeressäuger der Welt und akut vom Aussterben bedroht.

Seit den späten 1990er Jahren beobachten Wissenschaftler und Naturschutzorganisationen die Vaquita-Population und melden Jahr für Jahr rapide sinkende Zahlen. Im Jahr 1997 wurde die Population noch auf etwa 567 Tiere geschätzt. Nur elf Jahre später, im Jahr 2008, waren es mit 245 Tieren bereits weniger als die Hälfte. Die meisten von ihnen verendeten als Beifang in Fischernetzen. 

Gemeinsam mit ihrer niedrigen Fortpflanzungsrate und einer relativ kurzen Lebensdauer von nur etwa 22 Jahren, welche die meisten Vaquitas nicht einmal erreichen, sorgt die illegale Fischerei für einen drastischen Rückgang des Artbestandes.

Hoffnung für die Vaquitas

Als die Gesamtpopulation der Vaquitas im Jahr 2017 auf nur noch 30 Individuen fiel, prognostizierten Forscher das Aussterben der Art für das darauffolgende Jahr.

Die jüngsten Sichtungen neuer Jungtiere geben jedoch Grund zur Hoffnung auf das Fortbestehen und die Widerstandsfähigkeit der kleinen Wale. Analysen zum Überleben und zur Erholung der Art zeigen hohe Erfolgschancen, selbst wenn nur noch wenige Individuen übrig sind. Genetische Untersuchungen stützen diese Annahme und zeigen, dass Vaquitas durch ihre isolierte Lage genetisch gut aufgestellt sind, um nicht an einer Inzuchtdepression zu leiden, die durch die Weitergabe immer gleicher Erbinformationen entstehen würde.

Wenn die Nachfrage und damit auch der illegale Handel der Totoaba-Schwimmblasen eingestellt wird, besteht eine realistische Überlebenschance für die Vaquitas. Bis dahin ist die internationale Bekanntmachung der Problematik durch Dokumentarfilme wie Sea of Shadows und tatkräftige Unterstützungen vor Ort von Organisationen wie Sea Shepherd mit ihrer Operation Milagro essenziell für das Fortbestehen des kleinsten Wals der Welt.

Weiterführende Literatur

  • French, J. (2020). Meere und Ozeane: Vaquita. In Bedrohte Arten (S. 33). Knesebeck.
  • Hangen, C. (2016). Schweinswale: Die kleinen Vettern der Delfine (S. 11-12, 16-18, 22-26, 35-36, 40, 51, 56, 58, 63, 75-78, 83, 87, 90, 96-98, 104-106, 115-118, 124-125, 127-130, 134-136, 143-145, 152). VerlagsKG Wolf.
  • Ladkani, R. (Regisseur). (2019). Sea Of Shadows. Terra Mater Factual Studios.
  • Rojas-Bracho, L., Taylor, B., Booth, C., Thomas, L., Jaramillo-Legorreta, A., Nieto-García, E., Cárdenas Hinojosa, G., Barlow, J., Mesnick, S., Gerrodette, T., Olson, P., Henry, A., Rizo, H., Hidalgo-Pla, E. & Bonilla-Garzón, A. (2022). More vaquita porpoises survive than expected. Endangered Species Research, 48, 225–234. https://doi.org/10.3354/esr01197
  • Whale and Dolphin Conservation Deutschland. (2022, 28. Oktober). Beifang beenden: NGOs fordern Ausweitung des Stellnetzverbots zum Schutz der Schweinswale. Abgerufen am 12. Dezember 2022, von https://de.whales.org/wdc-ziele/beifang-beenden/

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